Einst belächelt als Urlaubsbeschallung, heute sorgt er für ausverkaufte Hallen: Der Italo-Schlager erlebt eine Renaissance. Er füllt Arenen, steht in den Charts und trendet in den sozialen Medien. Zwischen ironischer Distanz und echter Begeisterung feiert ihn ausgerechnet eine Generation, die seine Blütezeit nur aus Erzählungen kennt.
Sogar online prägt er Bilder: Unter dem Hashtag #italovibes tauchen unzählige Clips auf. Italien erscheint darin als makellose Kulisse: Sehenswürdigkeiten, Aperitivo-Szenen, Postkarten-Romantik. Spätestens seit dem Eurovision Song Contest 2025 ist auch eine Zeile im kollektiven Ohr eingebrannt: «Mi amore, espresso macchiato per favore». Der Este Tommy Cash, Espresso-Tasse in der Hand, sang von Pasta und Mafia und landete mit dieser Überdosis Klischee einen viralen Hit.
Gardasee im Kopf, Retroflucht im Ohr
Für Eric Pfeil, der mit seinem Buch über hundert Klassiker des Italo-Pops («Azzurro») und den vielen Geschichten drumherum einen Bestseller landete, steckt dahinter ein wiederkehrendes Muster: «Das ist Italien mit Stützrädern, Italien mit Abstandhalter, Italien mit Humor», sagt der Kölner Journalist der Deutschen Presse-Agentur.
Dass dieser Sound weiterhin Menschen begeistert, überrascht Pfeil nicht. Der Schlager sei die stumpfste Form des Eskapismus. Die italienische Variante biete dabei «unschuldiges Gebiet»: «Man ist gar nicht mehr mit der eigenen Kultur verhaftbar, sondern man kann eine Gardasee-hafte Italienwelt weg imaginieren», so der Autor. Es ist eine Welt der Erinnerungen an schöne Urlaube – «als alles in Ordnung war».
Wo alles begann
Bevor der Italo-Sound auf Tiktok zum Hintergrund für Aperol-Clips wurde, gehörte er auf die große Bühne: das Sanremo-Festival der 1960er und 70er. Es folgten Hits, die halb Europa mitsang, wie etwa Adriano Celentano mit «Azzurro» oder Umberto Tozzi mit «Ti Amo». Für deutsche Ohren war es stets ein Versprechen von Sonne, Meer und Ferien.
Doch das Italien jener Zeit war keine heile Welt. Politische Polarisierung, Attentate und Straßenkämpfe prägten das Land. Die Jugend suchte einen Ausweg – und fand ihn in neuen Klängen. Ende der 70er hielten Synthesizer Einzug, Produktionen wurden günstiger, Beats internationaler. Jeder konnte Musik machen.
Es war Selbstermächtigung – oft mit einer spielerischen Albernheit, wie der internationale Hit «Boys, Boys, Boys» von Sabrina Salerno zeigte. Der Taufname «Italo Disco» stammt vom deutschen Labelchef Bernhard Mikulski, der Ende der 70er eine Kompilation unter diesem Titel veröffentlichte.
Absturz und Rückkehr
Ende der 80er verlor Italo-Disco an Strahlkraft. Was blieb, waren kleine Fan-Szenen und vereinzelte DJ-Sets. Und der sehnsuchtsvolle Urlauber, der sich gerne an Sonnencreme und Strand erinnern wollte.
Nach den 2010ern kam die Wiederentdeckung – erst in Nischen, dann in der Meme-Kultur mit grellen Kostümen und übertriebener Mimik, perfekt fürs Internet. Heute füllen Bands wie Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys oder Crucchi Gang Hallen, Streamingzahlen gehen in die Millionen.
Pfeil sieht darin mehr als nur einen Algorithmus-Effekt: Auch eine junge Indie-Generation habe eine Neigung dazu, «sehr regressiv in eine sichere Welt flüchten zu wollen». Musik sei immer Eskapismus, betont Pfeil. Auch Historiker Tobias Becker sagte dazu einmal der dpa: Nostalgie sei nicht nur Rückkehr in die Vergangenheit, sondern auch Kritik an der Gegenwart. In Krisenzeiten wirkten vergangene Jahrzehnte stabiler, klarer, leichter. Der Italo-Sound liefert genau dieses Gefühl.
Musikalisches Touristenmenü
Doch ist Italien nur Schlager? Pfeil kritisiert, dass deutsche Hörer oft nur ein «musikalisches Touristenmenü» serviert bekamen: «Ich will den Gardasee, ich will bestimmte Gerichte da essen, ich will mein Aperitivo, und es wird alles nicht zu wild.» Der aktuelle Hype wiederhole viele dieser Klischees, meist geprägt von internationalen Künstlern.
Die Zukunft könnte jedoch eine neue Form der Sehnsucht bringen – ein Italien jenseits der Postkartenmotive. «Italien ist ein Land, das immer schon mit Krisen zu tun hatte. Man könnte viel davon lernen», sagt Pfeil. Doch bis dahin bleibt der Italo-Hype das, was er am besten kann: Eskapismus, ein Hauch Selbstironie und eine Prise Kitsch.