Wenn die Visionen kommen, dann haut es die Physiotherapeutin Christina (Verena Altenberger) völlig aus den Latschen. Das ist wie ein Gewitter im Kopf. Die Frau mit der burschikosen Kurzhaarfrisur wird immer wieder von Erinnerungen an eine lange vergangene Beziehung heimgesucht. Mit 16 Jahren hat sie sich unsterblich in den deutlich älteren Jacob (Florian Stetter) verliebt, einen Familienvater. Als der Angehimmelte bei einem Autounfall starb, brach für Christina eine Welt zusammen.
Mit Medikamenten und Therapien hält sie sich mühsam über Wasser, bis sie den jungen Musiker Patrick (Alessandro Schuster) trifft – und nach einigem Zögern wie entflammt wirkt: Ihre neue Liebe ähnelt frappierend dem verstorbenen Jacob. Und dies ist erst der Anfang einer Amour fou zwischen Euphorie und Wahnsinn. Das berührende Liebesdrama «Gesicht der Erinnerung» von Regisseur Dominik Graf nach dem Drehbuch von Norbert Baumgarten («Sag mir nichts») läuft am Mittwoch um 20.15 Uhr im Ersten.
Ist es wirklich Zufall, dass Patrick nur ein paar Kilometer von dem Ort entfernt geboren wurde, an dem ungefähr zur selben Zeit Jacob verunglückte? Christina mag dies bald nicht mehr glauben, und entdeckt immer mehr Gemeinsamkeiten zwischen den Männern. Dabei steht sie eigentlich, wenn sie nicht gerade von Visionen heimgesucht wird, mit beiden Beinen fest in der Realität. Aber die Bilder der zwei Geliebten, die sich langsam übereinanderschieben, kommen immer näher.
Das wird für den lebenslustigen Patrick bald zu viel. Christina modelliert ihn nach dem Abbild des Toten: Er soll die Anzüge tragen, die Jacob mochte, und sich die Haare dunkel färben lassen, eine bizarre Konstellation fast wie in Hitchcocks Klassiker «Vertigo».
Die österreichische Schauspielerin Verena Altenberger, die bis zum letzten Jahr noch beim Münchener «Polizeiruf 110» ermittelte, verkörpert die zupackende Physiotherapeutin über 90 Minuten mit bewundernswerter Präsenz. Ihre jüngere Schwester Judith Altenberger spielt überzeugend die 16-jährige Christina. Der vielbeschäftigte Newcomer Alessandro Schuster, den einige als Filmsohn der Dresdner «Tatort»-Kommissarin Karin Gorniak kennen dürften, stellt Patrick dar. Aber es gibt auch eine ganze Reihe interessanter Nebenfiguren, die wie beiläufig um das Liebespaar gruppiert sind.
Dominik Graf («Fabian oder Der Gang vor die Hunde») hat ohne jede billige Esoterik einen hellwachen, überbordend lebendigen und beseelten Film inszeniert. Der sich um große Fragen dreht und kleine Details nicht ausspart: Wenn Christina auf dem Balkon sitzt und träumt, arbeiten im Hof Handwerker, und es scheint eine unsichtbare Verbindung zu geben. Auch für den Gefühlsaufruhr der Protagonistin findet der Film die kongenialen Bilder, manchmal in schnellen, blitzartigen Schnitten, dann wieder in ruhigen Einstellungen.
Zwischen Alltag und Ewigkeit liegen dann manchmal Sekunden. Salzburg als Schauplatz des Dramas wird von Kameramann Hendrik A. Kley eher profan eingefangen, eine etwas altmodische Stadt, ohne jeden Hauch von mozartsüßer Festspielatmosphäre. Später geht es in die Berge, in eine wild-romantische Landschaft, da weiten sich die Perspektiven, Wasserfälle rauschen wie seit Urzeiten. Hier scheinen sich die Liebenden endgültig zu verlieren. Ist der Tod gar nicht das Ende?
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