Leonie (Paula Kober) hat kaum geschlafen und kein gutes Gefühl. Das war nicht in Ordnung, was der Mann, mit dem sie über Monate eine Affäre hatte, da getan hat – oder? Als sie ihn zur Rede stellt, sagt er, er wisse gar nicht, was sie habe. Wenn sie nicht mit ihm habe schlafen wollen – «Warum hast Du es dann getan?»
Leonies beste Freundin, die idealistische Anwältin Clara (Emily Cox) ist entsetzt, als die junge Frau ihr davon erzählt, was dieser verheiratete Mann mit ihr getan hat. Das sei nicht in Ordnung gewesen, betont sie. Angezeigt gehöre er.
Wenige Tage später fällt der berühmte Musiker Carsten Andersen (Jens Albinus) aus allen Wolken, als er einen Brief öffnet. Er soll ein Vergewaltiger sein? Er hatte doch nur – wie schon so oft davor – Sex mit Leonie. Leidenschaftlich, nicht kuschelig, ja. Aber so sei das nunmal zwischen ihnen beiden. Eine feurige Affäre, ein Tanz, ein Spiel.
Als Clara erfährt, dass es sich bei dem Mann, der ihre beste Freundin vergewaltigt haben soll, um ihren Vater handelt, der sie nach dem Tod der Mutter liebevoll alleine großgezogen hat, sieht sie die Sache schon wieder ganz anders. Leonie sei keine Lügnerin, aber vielleicht sei sie verletzt, weil ihr Vater seine zweite Ehefrau für sie nicht verlassen wollte? Ihr Vater ist doch kein Vergewaltiger. Oder?
Waren diese 37 Sekunden im Studio des Sängers eine Vergewaltigung? Oder einvernehmlicher Sex? Wo fängt Einvernehmlichkeit an und wo hört Machtmissbrauch auf? Mit diesem brisanten Thema beschäftigt sich die ARD-Serie «37 Sekunden», die schon in der Mediathek zu sehen ist und am Dienstag (15. August) auch im Ersten ausgestrahlt wird.
Wie geht eine Gesellschaft um mit einer Frau, die einen berühmten Mann beschuldigt? Und wie geht sie um mit einem Musiker unter Verdacht? Die Serie zeichnet die familiären und gesellschaftlichen Dynamiken detailliert und kleinteilig nach, die das mutmaßliche Verbrechen zu einem Medienskandal machen.
Die hin- und hergerissene Tochter und beste Freundin, ein alter, weißer Musiker mit treuer, lauter Fangemeinde, der die Welt nicht mehr zu verstehen scheint, die Trümmer seiner Karriere fürchtet und auf Youtube über Cancel Culture singt. Und eine Frau, die in einer Hetzkampagne vom Opfer zur möglichen Täterin gemacht wird und sich manchmal selbst nicht so ganz sicher ist, ob es wirklich eine Vergewaltigung war. Die fein erzählte Serie von Regisseurin Bettina Oberli nimmt alle Perspektiven ein und scheut sich gleichzeitig nicht davor, Stellung zu beziehen: Nein heißt nein.
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