Binge-Watching deutschen TV-Stoffs auf der ganzen Welt: Serien aus Deutschland erregen international Aufsehen und werden stundenlang angeschaut.
Derzeit steht die Sisi-Produktion «Die Kaiserin» von Katharina Eyssen unter allen Netflix-Serien, die nicht-englischsprachig sind, weltweit auf Platz eins.
Devrim Lingnau und Philip Froissant spielen darin die Hauptrollen und wurden laut Netflix allein in der vergangenen Woche (3. bis 9.10.) 59,4 Millionen Stunden gestreamt. In den Tagen zuvor seit Veröffentlichung (29.9. bis 2.10.) waren es schon 47,2 Millionen gesehene Stunden. Zusammengerechnet sind dies 106,6 Millionen Stunden.
«Babylon Berlin» war die Initialzündung
Die Wahrnehmung deutschen Fernsehstoffs hat sich ganz offensichtlich weltweit gewandelt. Wenn auch Stephen King, einer der meistgelesenen und erfolgreichsten Autoren der Welt, eine deutsche Serie lobt, wie er es neulich mit der Netflix-Produktion «Kleo» tat, dann muss in der Tat was passiert sein in der Bundesrepublik. Denn Deutschland, das war doch angeblich immer das Land der öden, drögen Serien. Die Zeit der Biederkeit scheint jedoch passé.
Das hat mit einer Entwicklung zu tun, die vor fünf Jahren an Fahrt aufnahm. Im Herbst 2017 startete «Babylon Berlin» (13.10.’17) und außerdem mit «Dark» (1.12.’17) die erste Netflix-Serie, die in Deutschland entwickelt und produziert wurde. Sie wurde zum globalen popkulturellen Phänomen.
Über «Kleo» twitterte jetzt Stephen King kürzlich: «Was für ein frischer Wind! Spannend und auch sehr lustig.» In der Netflix-Serie im Quentin-Tarantino-Style begibt sich Jella Haase als Stasi-Auftragskillerin nach dem Ende der DDR auf einen Rachefeldzug.
Die kreativen Köpfe hinter der Serie sind das Autoren-Trio Hanno Hackfort, Richard Kropf und Bob Konrad, die nach ihren Vornamen in der Branche gerne auch mal «HaRiBo» genannt werden und die schon hinter Serien wie «4 Blocks» und «Para – Wir sind King» steckten.
Bald kommt die Mystery-Serie «1899»
Und ganz bald dürfte wieder global für eine Netflix-Produktion aus Deutschland geschwärmt werden: für «1899», die neue Mystery-Serie der «Dark»-Macher Jantje Friese und Baran bo Odar. Sie startet am 17. November. Sie ist mit neuester Special-Effects-Technik gedreht. Nach einer Premiere beim Filmfestival Toronto gab es schon viel Lob.
Doch wie wurde dieses neue deutsche Serienzeitalter – manche würden wohl «Serienwunder» sagen – entfesselt?
25 Jahre ist es her, dass Netflix in den USA als DVD-Verleih gegründet wurde. Vor elf Jahren kündigte Netflix an, eigene Inhalte zu produzieren. Vor bald zehn Jahren (1.2.2013, in Deutschland 4.2. auf Sky Atlantic HD) ging dann die erste Staffel von «House of Cards» online – und zwar gleich alle Folgen, was klarmachte, dass Streaming den Konsumenten mehr Freiheit als das klassische Fernsehen bieten wollte. Im Juli 2013 folgte «Orange Is The New Black» als zweites sogenanntes Netflix-Original. Beide Serien wurden Welthits und veränderten die Unterhaltungsindustrie radikal.
Sogenannte Edel- oder auch High-End-Serien, die sich durch Komplexität, wenig berechenbare Figuren, episodenübergreifende, horizontale Erzählweise auszeichnen, wurden spätestens jetzt zum Nonplusultra für alle Bewegtbildmacher, auch wenn es schon Vorreiter wie «Breaking Bad» im US-Kabelfernsehen gegeben hatte.
Netflix als weltweiter, Abo-finanzierter Video-on-Demand-Dienste trat 2014 auch auf den deutschsprachigen Markt. Auch in Deutschland stieg nun der Druck, auf Qualitätsserien zu setzen.
Nicht zuletzt wegen der Erwartung, dass es bald die Konkurrenz deutscher Netflix-Serien geben werde, tat sich die öffentlich-rechtliche ARD mit Sky zusammen und rief das Großprojekt «Babylon Berlin» ins Leben, eine aufwendige Krimiserie, die zu Zeiten der Weimarer Republik spielt. Gerade startete die vierte Staffel bei Sky (8.10.), die 2023 auch im Ersten der ARD kommt.
Sieben Jahre vor dem «Babylon»-Start hatte die ARD dagegen noch eine fast traumatische Erfahrung mit dem aufwendigen Zehnteiler «Im Angesicht des Verbrechens» von Dominik Graf gemacht. Die Krimiserie im Mafiamilieu lief auf der Berlinale, dann bei Arte und blieb im Herbst 2010 bei ihrer Ausstrahlung im Ersten weit hinter den Quoten-Erwartungen zurück. Feuilletons fragten daraufhin, ob solche Serien jemals in Deutschland ankommen werden oder nun überhaupt noch produziert und dann zum Exportschlager werden könnten.
Die Serien-Revolution läuft
Inzwischen ist die Suche nach aufsehenerregenden Serienstoffen, die verstärkte Koproduktion der TV-Anbieter untereinander, der Ausbau von Online-Plattformen, um junge Zuschauerinnen und Zuschauer nicht vollends zu verlieren, bei den Sendern eine wichtige Arbeit.
Denn: Eigenproduzierte Serien gelten als bedeutend für TV-Marken. Als Alleinstellungsmerkmal verbessern sie das Image und grenzen gegenüber der Konkurrenz ab.
Galten Drehbuchautoren in Teilen der deutschen Fernsehlandschaft lange Zeit nur als Zuarbeiter, weil die eigentliche Kreativarbeit ja angeblich beim Regisseur liege, so hat sich dies erheblich gewandelt.
Begriffe wie Showrunner (kreativer und geschäftlicher Fernsehserien-Leiter) oder Writers‘ Room (Drehbuchautoren-Team, das in kreativem Ideenaustausch steht) sind keine Seltenheit mehr in Deutschland. Fest steht: Für Produzenten, Sender, berichtende Medien und nicht zuletzt die Zuschauerinnen und Zuschauer hat sich das Konsumieren von Serien und das Reden über Serien in den letzten fünf Jahren stark verändert. Die Revolution läuft.
Und sieben Jahrzehnte nach den «Sissi»-Filmen mit Romy Schneider und Karlheinz Böhm scheint derzeit auf der ganzen Welt wieder Kaiserin Elisabeth als Filmstoff aus Mitteleuropa willkommen zu sein. «Die Kaiserin» stand jedenfalls in ihrer ersten Woche laut Netflix in 79 Ländern in den Top Ten, in ihrer zweiten Woche nun sogar in 88 Ländern.
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